Seit den 1990er Jahren ist der Wohnungsbau drastisch eingebrochen, der von Mehrfamilienhäusern noch stärker als der von Eigenheimen. 2009 gab es einen neuen Minusrekord. Das Angebot wird knapper, vor allem in wirtschaftlich stabilen und erst recht in wachstumsstarken Städten. Hier ist auf mittlere Sicht mit deutlich steigenden Mieten und Hauspreisen zu rechnen. Wer vorher gekauft hat, profitiert davon. Wer noch mietet, stöhnt.
Zwar sind auch die Staatshilfen für Bau und Kauf derzeit mager. Doch diese sollten ohnehin nicht der entscheidende Faktor für die Entscheidung sein, ob Sie kaufen oder mieten. Da gibt es andere, bedeutsamere Gründe: Wohngefühl und künftige Wohnkosten. Doch immer wieder hört und liest man Argumente, die von Hausbau und -kauf abraten.
Was von ihnen zu halten ist, untersuchen wir im Folgenden:
Bankrate vs. Miete:
Wer mietet, zahlt anfangs jeden Monat spürbar weniger als jemand, der ein vergleichbares Haus oder eine Wohnung erwirbt. Aber für beide ändern sich die Summen im Laufe der Zeit: Mieten können nach dem Gesetz alle drei Jahre um bis zu 20 Prozent steigen. Kreditraten können je nach Vertrag alle fünf, zehn oder fünfzehn Jahre klettern, aber auch sinken - je nach Zinsentwicklung. Auf lange Sicht können die Mieten doppelt so hoch sein wie heute, während die Raten des bezahlten Hauses auf Null sinken.
Beim Mieten kann man so viel Geld sparen, dass man mit gleichem Einsatz am Ende reicher ist.
Es gibt Dutzende von Rechnungen, die die Vermögensentwicklung von Mietern und Hauseigentümern vergleichen. Jede hat ein anderes Ergebnis – und dieses hängt auffällig stark davon ab, wer die Kalkulation beauftragt hat: Waren es Vermieter- oder Mieterverbände, lohnt der Kauf eher nicht. Waren es Bausparkassen und Fertighausanbieter, dann rentiert sich der Hausbau immer. Das Fazit: Mit solchen Vergleichsrechnungen kann man alles beweisen. Oder, wie Winston Churchill sarkastisch meinte: "Ich glaube nur an die Statistiken, die ich selbst gefälscht habe."
Dreist fälschen tut hier keiner. Aber es geht immer um Prognosen, und da schraubt jeder an den Zahlen, wie es am besten passt: Bei den Mietfreunden bleiben Mieten und Immobilienwerte niedrig, dagegen sind die Kreditzinsen eher hoch. Bei den Förderern des Wohneigentums ist es umgekehrt. Doch in der Realität haben meist beide Seiten Unrecht. Denn beide unterstellen etwas, das in Wirklichkeit fast nie vorkommt: dass sich Mieter und Eigentümer gleich verhalten. Sie nehmen an, dass Mieterinnen und Mieter das, was er fürs Wohnen weniger ausgibt, stets in den Sparstrumpf steckt. Nach aller Lebenserfahrung stimmt das aber nicht: Das beim Wohnen Ersparte wird eher ausgegeben als beiseite gelegt. Zudem ist Geldvermögen stärker von Kurseinbrüchen und Schuldnerpleiten bedroht als Immobilienvermögen, wie die jüngste Finanzkrise deutlich gezeigt hat.
In Wirklichkeit geht es meist so zu: Eigentümerinnen und Eigentümer zahlen jahrzehntelang ihren Kredit ab. Irgendwann haben sie es geschafft - mal fünf, mal fünfzehn Jahre vor der Rente. Dann steht plötzlich jeden Monat eine beträchtliche Geldsumme zusätzlich zur Verfügung – sagen wir 600 Euro. Von diesem Geld wird aller Erfahrung nach nur einen Teil ausgegeben; der andere wird gespart. Damit erklärt sich, dass Immobilieneigentümerinnen und -eigentümer nach einschlägigen Vergleichsstudien mit etwa 60 Jahren nicht nur ein Immobilienvermögen haben, das Mieterinnen und Mieter nicht besitzen, sondern dass auf ihrem Konto darüber hinaus im Durchschnitt auch noch zigtausende Euro mehr liegen als auf dem von Mieterinnen und Mietern, die gleich viel verdienten wie sie selbst.
Die Deutschen sterben aus, darum haben wir bald Häuser und Wohnungen im Überfluss.
Aussterben tun wir nicht, aber wir werden weniger. Das dauert allerdings. Und zugleich werden die einzelnen Haushalte immer kleiner - wegen der vielen allein lebenden Alten und der Individualisierung der Jüngeren. Wenn die Haushalte im Durchschnitt kleiner werden, gibt es mehr von ihnen. Noch bis ungefähr 2030 dürfte die Zahl der Haushalte schneller wachsen, als die Zahl der Menschen schrumpft. Erst danach wird die Anzahl der nachgefragten Wohnungen allmählich zurückgehen.
Allerdings gibt es noch einen dritten Effekt: Wir konsumieren immer mehr Wohnfläche. Nach dem Krieg verfügte jeder Westdeutsche im Schnitt über karge 12 Quadratmeter, nach dem ersten Aufbauboom über 25 - und heute hat jeder 40 Quadratmeter. Die Ostdeutschen haben rasant aufgeholt, von 26 Quadratmetern 1990 auf mehr als 36 Quadratmeter heute. Und der Wunsch nach mehr Fläche hält an. Auch das befördert den Druck auf dem Wohnungsmarkt.
Hinzu kommt eine vierte Erscheinung, deren Größe derzeit noch unbekannt ist: die künftige Einwanderung. Die Massenarbeitslosigkeit von heute wird in Arbeitskräftemangel umschlagen, wenn der Anteil der Alten immer größer wird. Die Jüngeren, die dann hier leben, werden die anfallende Arbeit nicht mehr schaffen. Neue Menschen braucht das Land, und die benötigen Häuser und Wohnungen. Davon entstehen zu wenige: Der Neubau entspricht nicht einmal einem halben Prozent der schon vorhandenen Wohnungen. Zugleich gilt die Faustregel: Jedes Jahr verschwindet still und leise etwa ein Prozent der Wohnungen vom Markt. Meist nicht durch spektakuläre Abrisse, sondern indem kleinere Wohnungen zusammengelegt, schlechte nicht mehr vermietet, andere in Büros verwandelt oder zu Zweitwohnung gemacht und dann nur noch gelegentlich genutzt werden. Mehr Haushalte, zugleich weniger Wohnungen: So entsteht Mangel.
Die Zeiten sind zum Bauen oder Kaufen viel zu unsicher.
Irgendwelche Ungewissheiten gibt es immer. Aber wenn nicht gerade der eigene Job auf der Kippe steht, spricht oft gerade diese Unsicherheit fürs Bauen und Kaufen. Denn in wirtschaftlichen Wackelphasen sind die Preise eher niedrig. Ebenso die Zinsen: Sie rutschten in der Wirtschaftskrise 2008 so tief wie nie seit Kaiser Wilhelms Zeiten.
Durch die derzeitige Euro-Schuldenkrise sind sie sogar noch stärker gesunken. Und bei aller Ungewissheit sind in den kommenden Jahren zwei Entwicklungen denkbar, die heutige Käuferinnen und Käufer erfreuen: entweder schwaches Wachstum auf längere Zeit oder ein Boom mit verschärfter Inflation. Erholt sich die Wirtschaft kaum und bleiben die Zinsen niedrig, dann ist eigenes Geld in der Immobilie gut angelegt und jenes der Bank kostet wenig Zinsen. Oder es kommen steigende Preise, Mieten und Zinsen. Dann ist es gut, vorher gekauft zu haben: Man kann dem Klettern der Mieten entspannt zugucken und dem der Hauspreise sogar erfreut, denn damit steigt der Wert des selbst bewohnten Vermögens.
Heutzutage weiß kaum noch jemand, wie und wo er in zehn Jahren lebt
Ein in näherer Zukunft möglicher Umbruch im Leben ist ein starkes Argument, beim Mieten zu bleiben - etwa ein Umzug, drohender Jobverlust oder unklare Perspektiven im Familienleben. Doch schon bei einem Zeithorizont von zehn Jahren kann sich der Kauf eines Hauses lohnen. Wird irgendwann doch ein Umzug nötig, ist ein Teil des Kredits abbezahlt und von einem gut gewählten Haus auch der Preis gestiegen. Dann bleibt selbst nach Abzahlen der restlichen Schulden eine hübsche Summe übrig, die den Neuanfang versüßt.
Mein Geld ist zu fest gebunden.
Spontane Entscheidungen für den Neuwagen, den schicken Urlaub oder ein paar Monate Auszeit vom Job sind bei frischem Hauseigentum in der Tat meist nicht drin. Und bei einem heißen Aktientipp liegt eher kein anlagebereites Geld auf dem Konto. Aber beides ist auf längere Sicht von Vorteil: Das verkonsumierte Geld ist mit Sicherheit weg, das riskant investierte wahrscheinlich auch. Schon über solidere Geldanlagen sagt der Investoren-Volksmund: "Hin und her macht die Taschen leer." Umgekehrt gilt: Ist das Geld buchstäblich immobil, bleiben die Taschen voll.
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